Verkraftet die Demokratie Social Media?
Dazu hat sich Herfried Münkler, Politikwissenschaftler, im Interview mit Eva Weissenberger im WKO-Podcast “Lookout” geäußert.
Die sehr gute Frage von Weissenberger:
Manche sagen, dass eine von Kommunikationstechnologien dann eben zu einer Welt in Aufruhr führt und dann auch zu Krisen und Kriegen führt. Und das Beispiel wird angeführt: Die Erfindung des Buchdrucks 1450 und dann der 30-jährige Krieg 1618, oder das Radio, das den Aufstieg der Nazis befördert hat, was zum Zweiten Weltkrieg geführt hat. Teilen Sie diese These und das was wir jetzt sehen, ist das zurückzuführen auf Social Media und generative KI?
Münklers Antwort:
Ja, ich glaube das ist empirisch gut begründet, der Punkt den Sie ansprechen. Also sagen wir, der Buchdruck, der die Reformation ermöglicht hat, vor allen Dingen Flugschriften, und der dann im 30-jährigen Krieg gipfelt - also eine Medienrevolution, die geeignet war, Massen zu mobilisieren.
Die Demokratie, wie wir sie kennen, als ein entschleunigtes Verfahren, das versucht, Emotionen zurückzudrängen und die rationalen Überlegungen der Leute in den Mittelpunkt zu stellen, ruht auf der Trias von Buch, Zeitschrift und Zeitung.
Und das ist ja etwas - erstens ist es kuratiert und lektoriert, und zweitens ist es eine Form auch der Entschleunigung: 'Jetzt denkt noch mal drüber nach.'
Und der Prozess des Lesens von längeren Texten ist was ganz anderes als die Eyecatcher und Aufreger in dem Newsfeed.
Also die Frage ist, ob dieser Typ von Demokratie verkraftet die Umstellung auf Plattformen, die normal aufgekommen sind mit der Vorstellung 'Jetzt hat gleich jeder das gleiche Recht und die gleiche Stimmgröße', und es ist nicht mehr so, dass der Herausgeber einer Zeitung sehr viel Macht hat und der Chefredakteur und was auch immer, und die anderen können allenfalls einen Leserbrief schreiben.
Die Algorithmen, über die Elon Musk verfügt, verstärken seine Stimme dramatisch und nehmen andere in den Hintergrund.
Und sie führen dazu, dass wir gewissermaßen in Echokammern und Blasen leben, und all das stellt sehr das in Frage, was ich vorhin als die entscheidende Verteidigungslinie der Demokratie bezeichnet habe, nämlich die Entstehung von politischer Urteilskraft.
Also das ist eine große Herausforderung, und auch da möchte ich mal sagen:
Man kann die Herausforderung beschreiben, um sich ihr zu stellen, aber es ist nicht so leicht herauszufinden, wie man auf sie reagieren kann, und zwar mit einer guten Erfolgsaussicht.
Die Forschung zu Filterblasen, so weit ich die Ergebnisse kenne, bestätigen nicht, dass wir uns online mehr unter Gleichgesinnten bewegen als offline.
Eine Studie aus den USA legt nahe, dass eher das Gegenteil der Fall ist.
Das heißt aber nicht, dass die These Münklers nicht trotzdem stimmt.
Ich möchte mich damit, wie man demokratischen Diskurs im Internet organisiert, heuer noch intensiv beschäftigen.
Ich werde dazu viele Beiträge hier veröffentlichen, für Zeitungen darüber schreiben und einige Podcast-Interviews in Erklär mir die Welt führen.
In der Zwischenzeit aber mein Ratschlag: Kritische Bürger:innen sollten zumindest ein traditionelles Medium abonniert haben und sich darin regelmäßig informieren.
Idealerweise ausgedruckt, in Ruhe, von hinten bis vorne durchlesend. Ich mache das etwa mit dem Economist, dem Falter und gelegentlich mit der Zeit.
Es reicht auch der Griff zum Wochenend-Standard oder zur Presse am Sonntag.
Das ergänzt mit ein, zwei, drei guten Podcasts zur Weltlage, ein, zwei Newsletter, die man regelmäßig liest und dann ab und zu zu einem Sachbuch greifen: Et voilá.
Ich glaube, dass man so um Welten besser informiert ist über die tatsächlich wichtigen Dinge, die passieren, als Menschen, die “extremely online” sind, die ständig News auf Social Media oder Nachrichtenseiten checken. Vieles davon ist Ablenkung.
Zwei dazu passende Beiträge von mir:
Zerstört die Digitalisierung die demokratische Öffentlichkeit?
Es gibt viele YouTube-Diskussionen und -Vorträge. Ich lade mir via downsub.com immer öfter einfach das automatisiert von YouTube erstellte Transkript herunter und gebe es dann Claude Opus 3, um mir eine Zusammenfassung erstellen zu lassen.
9 Wege, wie das Internet Politik beeinflusst
Politische Parteien an den Rändern profitieren derzeit stärker vom Internet. Das zeigen Studien, die sich den ungleichen Ausbau des 3G-Netzes zunutze machen. Ob Mitte-Parteien das in der Zukunft ändern können, ist unklar. Derzeit jedoch unterstützt das Internet den Aufstieg der Populisten.