Wie beeinflussen sich Medien und Politik?
Ich bereite mich gerade auf eine Erklär mir die Welt-Folge mit Laurenz Ennser-Jedenastik vor. Mich interessiert, inwiefern Medien Themen im politischen Diskurs setzen und umgekehrt, inwiefern Parteien die Medienagenda bestimmen.
Dazu ist das Modell von Strömbäck der “Mediatization” relevant (2008), das von Claude als “Mediatisierung” übersetzt wird. Ich beziehe mich auf eine Studie von Josef Seethaler und Gabriele Melischek aus 2014, Phases of Mediatization.
Hier die vier Phasen der Mediatisierung nach Strömbäck:
1: Medien sind reine Übermittler der Parteien-Agenda (AZ, Kurier in den 70ern)
2: Medien werden unabhängiger, aber Parteien können sie noch beeinflussen
3: Medien folgen eigener Logik, Parteien passen sich Medien-Logik an
4: Medien bestimmen politische Realität, Parteien verinnerlichen Nachrichtenwerte, werden anfälliger für Medieneinflüsse
Und jetzt wortwörtliche Zitate aus der Studie, auf Deutsch übersetzt von Claude:
Im Jahr 1970 fungierten zwei Medien als Übermittler für die Agenda der von dem jeweiligen Medium bevorzugten Partei. Bei den betreffenden Medien handelte es sich, wie zu erwarten war, um eine traditionelle Parteizeitung, die Arbeiter-Zeitung, aber auch um den Kurier, der zu diesem Zeitpunkt finanziell von den Konservativen abhängig war. Die konservative Tageszeitung Die Presse war jedoch das einzige Medium, das Einfluss auf die Agenda einer Partei hatte. Vielleicht lässt sich dies durch die Bemühungen der Sozialdemokraten erklären, sich als erste "Volkspartei" Österreichs zu positionieren und damit ihre Wählerbasis auf die Mittelschicht auszuweiten, um ihre Wahlchancen zu erhöhen.
Während es nicht überraschend ist, dass die sozialistische Zeitung über konservative Themen berichtete - da Parteizeitungen es schon immer als journalistische Pflicht angesehen haben, über die politischen Positionen des Gegners zu berichten (Imhof 2006) -, scheint der Österreichische Rundfunk ORF ein Sonderfall unter den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewesen zu sein, da er theoretisch eine selektive Programmgestaltung vermeiden sollte.
Trotz seines Bekenntnisses zur Unparteilichkeit in der politischen Berichterstattung ist eine konservative Voreingenommenheit erkennbar.
Nach Hallin und Mancini (2004) ist dieser hohe Medien-Parteien-Parallelismus typisch für das österreichische Mediensystem und verliert erst dann an Bedeutung, wenn die Marktorientierung ein solches Niveau erreicht, dass sie beginnt, die Organisationsleistung stärker zu beeinflussen.
Dies ist offensichtlich bei der Kronen Zeitung der Fall, der auflagenstarken Boulevardzeitung, die als einzige Zeitung in der Stichprobe als frühes Beispiel für eine losgelöste Presse fungiert: Die Kronen Zeitung setzt ihre thematischen Prioritäten unabhängig von den politischen Parteien. Das Gesamtbild der Medien-Parteien-Beziehungen scheint also den Wahlkampf von 1970 irgendwo zwischen die ersten beiden Phasen der Mediatisierung zu stellen.
1983 wurden die Medien in der Festlegung ihrer eigenen Agenda spürbar autonomer. Was erfolgreiche Agenda-Building-Effekte betrifft, so hatte sich nur die Parteizeitung nicht verändert. In Bezug auf alle anderen Medien - und in Übereinstimmung mit den Annahmen über den Übergang von Phase zwei zu Phase drei - ist eine Entkopplung von Medien und Parteien zu beobachten.
Das bedeutete, dass die Medien begannen, sich von ihren Parteibindungen zu lösen, und gleichzeitig die Parteien selbst nicht in der Lage waren, unabhängige Medien effektiv zu nutzen. […] Zu dieser Zeit hatte dies jedoch praktisch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Wahlergebnisse, da die Parteibindungen sehr stark blieben.
Was die politische Agenda-Setting-Macht der Medien betrifft, so versuchte die Konservative Partei nun, ihre Wählerbasis zu verbreitern, indem sie sich den Hauptthemen der (nun politisch unparteiischen) Fernsehnachrichten widmete.
Die ÖVP widmete sich also den Themen, die der ORF setzte.
Richtung Jahrtausendwende ging Österreich in Phase 3 über, in der politische Parteien die mediale Logik übernahmen – und dominierten.
Während der Wahlkampf 1990 eindeutig eine Zwischenstufe im fortschreitenden Mediatisierungsprozess darstellte, lassen sich 1999 eine Vielzahl von Agenda-Building-Effekten beobachten, die auf eine fortgeschrittene dritte Phase der Mediatisierung hindeuten: Die Parteien hatten offensichtlich die Logik gelernt, nach der Journalisten arbeiten.
[Es zeigt sich,] dass das Parteiensystem als Ganzes einen beträchtlichen Einfluss auf die Entwicklung der Medienagenda ausübte, auch wenn einzelne Parteien weniger erfolgreich darin waren, ihre langfristigen Botschaften zu vermitteln.
Aus journalistischer Sicht ist diese Entwicklung jedoch insofern dialektisch, als die erfolgreiche Anpassung der politischen PR an die Logik der Medien zwar zu einer Mediatisierung der Politik führt, gleichzeitig aber auch einen Autonomieverlust für den Journalismus bedeutet, der bei der Festlegung der Medienagenda nicht mehr die Oberhand hat.
In diesem Tango führen die Parteien. Dennoch ist es den drei traditionellen politischen Parteien - Sozialdemokraten, Konservative und die rechte Freiheitliche Partei - nur gelungen, Zeitungen zu beeinflussen, deren redaktionelle Linie der jeweiligen ideologischen Position der Parteien ähnelt, was zeigt, dass der Medien-Parteien-Parallelismus nach wie vor lebendig ist.
Dies steht im Einklang mit dem Verhalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der die offizielle Agenda der Regierung unterstützt hat. Nur neue Parteien wie die Grünen und die Liberalen passten nicht so recht in dieses Schema. In ihrem Fall war das langfristige Themenmanagement entscheidend für den Erfolg des Agenda-Building (wie einige kleinere Effekte innerhalb einer Woche zeigen).
Es gab jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme: 1990 gelang es den neu vereinten Grünen, eine aufsehenerregende Themenkampagne zu führen, bei der fast alle "ihre" Themen Eingang in die Abendnachrichten (und in geringerem Maße auch in einige Zeitungen) fanden.
Umgekehrt sind die Parteien, wie für die dritte Phase der Mediatisierung erwartet, weiterhin relativ immun gegen externe Einflüsse auf ihre Themenagenda, abgesehen von den Sozialdemokraten, die sich 1990 für die Themen der Kronen Zeitung interessierten, die ihre Position als führende österreichische Zeitung aufgrund des Markteintritts eines deutschen Verlags nur zwei Jahre vor der Wahl gestärkt hatte.
2008 waren die Parteiagenden dann irrelevant für die Medienagenden. Den politischen Parteien gelang es nur mehr, Schlagzeilen zu setzen – aber kein umfassendes Agenda Setting zu betreiben:
2008 änderte sich das Bild erneut. [In Modellvergleichen] […] erwiesen sich die Parteiagenden als irrelevant für die Bildung der Medienagenden. Die kurzfristig opportunistische Ausnutzung aktuell heißer, aufsehenerregender Themen gewann an Bedeutung. In den meisten Fällen gelang es den Parteien nur, Schlagzeilen zu besetzen und nicht (wie in früheren Zeiten) die Medienagenda als Ganzes zu gestalten.
Diese Merkmale treffen insbesondere auf private Rundfunkanbieter und Gratiszeitungen zu, die beide relativ neu auf dem österreichischen Medienmarkt sind. Man könnte also durchaus diese Ergebnisse als Hinweis auf eine Rückkehr zu größerer journalistischer Autonomie (wie für die vierte Phase der Mediatisierung erwartet) interpretieren.
Getrieben von einem zunehmend wettbewerbsorientierten Umfeld wählen die Medien überwiegend einen proaktiven und selektiven redaktionellen Ansatz und überwinden so den früheren Medien-Parteien-Parallelismus.
Die Medien wurden umgekehrt zu Agenda-Settern der Parteien:
Die Folgen sind aber vorerst möglicherweise weitreichend, denn die Parteiloyalität hat als wahlentscheidender Faktor spürbar an Bedeutung verloren. Zudem brachte der Wahlkampf 2008 erste Anzeichen für ein neues Phänomen, das wiederum typisch für die vierte Phase ist: Das Verhältnis zwischen Politik und Medien war reziprok geworden, wobei Letztere als Agenda-Setter für die Parteien fungierten.
Wenn man das Signifikanzniveau von 1 auf 10 Prozent reduziert, werden die politischen Agenden aller österreichischen Parlamentsparteien von den Agenden verschiedener Medien (hauptsächlich von traditionellen Medien wie Kronen Zeitung, Presse und ORF) beeinflusst, was wahrscheinlich die Bemühungen der Medien offenbart, die Parteipolitik durch selektive Beeinflussung der Parteiagenden ins Visier zu nehmen.