Ohne NATO: Eine Koalition der Willigen in Europa gegen Russland?
Die Berliner Morgenpost hat Carlo Masala, Professor für Internationale Beziehungen, interviewt:
Wie viel Geld muss der neue Kanzler – mutmaßlich Friedrich Merz – für die Bundeswehr aufbringen?
Masala: Wir müssen uns darauf einstellen, dass die USA aus Europa abziehen und ihre militärischen Fähigkeiten den Europäern im Rahmen der Nato nicht mehr zur Verfügung stellen. Dann reden wir nicht mehr davon, drei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, sondern fünf oder sechs Prozent. Europa wird eigene Aufklärungssatelliten, strategische Transportfähigkeiten und Marschflugkörper brauchen, die von Europa aus Ziele tief im russischen Raum treffen können. Mit dem Taurus kommen wir nicht weit.
Wie wollen Sie das finanzieren?
Masala: Es wird nicht reichen, die Schuldenbremse zu lockern und Ausgaben im Bundeshaushalt umzuschichten. Ich schlage vor, zusätzlich einen Solidaritätszuschlag auf Verteidigung zu erheben – nach dem Vorbild der Sonderabgabe für den Aufbau Ost. Alle Erwerbstätigen sollten – befristet auf fünf Jahre – ein oder anderthalb Prozent ihres Einkommens für Verteidigung entrichten. Ausnahmen kann es höchstens für Geringverdiener geben. Verteidigung geht die ganze Nation an.
Ihr dritter Punkt war eine europäische Verteidigungskoalition. Auf welche Staaten zählen Sie?
Masala: Großbritannien, Frankreich, Deutschland natürlich, Italien, Benelux, die nordischen Staaten, die baltischen Staaten, Polen, Rumänien, vielleicht Bulgarien. Ungarn wird mit einem Viktor Orban nicht mitmachen aus grundsätzlicher ideologischer Opposition. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich Portugal beteiligen würde, weil es einfach weit weg ist vom momentanen Kriegsgeschehen. Wir brauchen für die vier Jahre der Trump-Administration einen belastbaren Plan, wer wann was zur europäischen Verteidigungsfähigkeit beiträgt.
Mir blutet das Herz, dass Österreich nicht in der Riege dieser Länder genannt wird.
Nicht, weil es vergessen wurde, sondern weil allen klar ist, dass Österreich ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer und bei der Verteidigung Europas nicht ernstzunehmen ist.
Würde Österreich sein Verteidigungsbudget auch auf sechs Prozent des BIP steigern, käme das einer Versiebenfachung gleich.
2023 haben wir laut Statista 0,84 Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben.
Zu den Verhandlungen von Trump und Putin sagt Masala:
Was geschieht im schlimmsten Fall?
Masala: Es kommt zu einem Ukraine-Deal, der alle Wünsche Putins erfüllt. Die Amerikaner ziehen sich aus Europa zurück – und in vier Jahren haben wir den nächsten Krieg, entweder gegen die Rest-Ukraine oder gegen einen Nato-Staat.
Und im besten Fall?
Masala: Welchen besten Fall wollen Sie denn hören? Momentan gibt es keinen besten Fall. Wir haben eine tektonische Veränderung der transatlantischen Beziehungen. Die Amerikaner fallen als der Sicherheitsgarant Europas aus. Sie nähern sich Russland an – in einer Zeit, in der Russland imperialer ist, als es in den letzten 60 Jahren war. Da fällt es mir schwer, irgendein Best-Case-Szenario darzubieten.