Menschen überschätzen Risiken und sie unterschätzen Chancen
I think it's generally human nature to overestimate risk and underestimate opportunity and so I think in general, you know, we would be well advised to try and bias against that piece of human nature. The risks are probably not as big as you perceive and the opportunities may be bigger than you perceive.
– Jeff Bezos im Interview mit der New York Times
Man kann von Bezos und Amazon halten, was man möchte, aber ich denke, dass in dieser Passage ziemlich viel Weisheit steckt.
Wenn wir etwas kommunizieren, das wir möchten, ist das Risiko meistens relativ gering: Magst du einen Kaffee mit mir trinken? Kann ich eine Gehaltserhöhung haben? Wenn du X sagst, dann verletzt mich das, kannst du damit aufhören?
Viel zu oft machen wir Dinge nicht, weil es schief gehen könnte. Dabei steht der potenzielle Nutzen in keinem Verhältnis zu den eventuellen Kosten. Ökonomisch betrachtet ist die erwartete Rendite hoch und es gibt Möglichkeiten für Arbitrage.
Evolutionär ergibt unser Verhalten Sinn: Vorsichtige und ängstliche Menschen haben eher überlebt, genauso wie Menschen, die eher das Negative als das Positive sehen.
Im 21. Jahrhundert steht uns das aber hauptsächlich im Weg.
Wenn ihr also überlegt, ob ihr endlich die eine Person ansprecht, endlich dieses eine Kleidungsstück, diese Frisur tragen könnt, die andere vielleicht komisch finden, ob ihr euch selbstständig machen oder in Therapie gehen sollt: Ja, ja, ja und ja.
Im Zweifel sollte die Antwort immer Ja sein.*
* Es gibt natürlich viele Situationen im Leben, in denen es gut ist, vorsichtig zu sein. Etwa wenn man als vulnerable Person im öffentlichen Raum unterwegs ist oder wenn man an der Armutsgrenze lebt, Kinder, Eltern oder Kranke zu versorgen hat usw.
Aber wenn wir hin- und herüberlegen, also das potenzielle Risiko in der eigenen Lebenssituation nicht komplett absurd zu sein scheint, sollten wir öfter Ja sagen.
Dazu passt auch diese Studie von Steven Levitt:
Little is known about whether people make good choices when facing important decisions. This paper reports on a large-scale randomized field experiment in which research subjects having difficulty making a decision flipped a coin to help determine their choice. For important decisions (e.g. quitting a job or ending a relationship), those who make a change (regardless of the outcome of the coin toss) report being substantially happier two months and six months later. This correlation, however, need not reflect a causal impact. To assess causality, I use the outcome of a coin toss. Individuals who are told by the coin toss to make a change are much more likely to make a change and are happier six months later than those who were told by the coin to maintain the status quo. The results of this paper suggest that people may be excessively cautious when facing life-changing choices.
Was heißt das also?
Ich habe Claude zuerst die ganze, 42-seitige Studie zum Lesen gegeben und es dann zusammenfassen lassen:
Wenn man ernsthaft darüber nachdenkt etwas zu verändern (z.B. Job zu kündigen), hat das meist einen guten Grund
Die Studie zeigt: Wer sich traut zu springen, bereut es oft nicht
Nach 2 Monaten waren die Unterschiede im Glücklichsein noch nicht so deutlich
Nach 6 Monaten zeigte sich aber, dass Veränderungen oft positiv waren
Das bedeutet: Die schwierige Übergangsphase lohnt sich häufig
Viele Menschen bleiben aus Angst in unbefriedigenden Situationen
Die Studie zeigt: Diese Angst ist oft übertrieben
Veränderungen waren im Durchschnitt positiv für die Zufriedenheit
Hier noch einige meiner liebsten, dazu passenden Zitate vom vorigen Jahr:
Man sollte danach streben, genug gelebt zu haben, sagte Seneca.
Probiere alles aus, mach überall mit, triff jeden. Das ist das Geheimnis des Lebens, sagte Hedy Lamarr.
Mutig zu sein heißt nicht, keine Angst zu haben, sondern dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst, sagte Christo Foerster im Falter.
Na dann: 2025, wir kommen.
Hier ist übrigens das ganze Interview mit Jeff Bezos zum Nachschauen, über sein Leben, Amazon, KI, Reisen zum Mond uvm., sehr empfehlenswert: