Drei Regeln für ein gutes Leben ohne Kinder
Viktor Szukitsch hat im SZ-Magazin über das Leben ohne Kinder nachgedacht und drei Regeln aufgestellt, um “kinderlos glücklich” zu werden:
Regel 1: Mache Erfahrungen, so lebensverändernd wie Geburten
Anfang vorigen Jahres kündigten wir unsere Wohnung, verkauften unser Hab und Gut auf Ebay und fuhren nach Portugal, um Surfen zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt kannten wir das Land fast gar nicht, und keiner von uns hatte je auf einem Surfbrett gestanden.
Der Bruch mit unserem alten Leben hätte kaum härter sein können: anderes Land, andere Routine, vollkommen neues Level an körperlichen Schmerzen. Jeden Tag gingen wir mit unseren Brettern zum Strand, um uns vom Atlantik verprügeln zu lassen. Abends fielen wir bereits vor dem Sonnenuntergang ins Bett. Morgens kamen wir kaum die schmale Treppe unseres Airbnb herunter, um uns zum Arbeiten an unsere Laptops zu setzen.
Dieser Einsatz an Zeit, Energie und Fokus erkaufte uns ein paar Erinnerungen, die so groß und bleibend sind, wie man sie in Eimsbüttel nur mit Kindern machen kann – Erinnerungen, die nur versteht, wer sie teilt. So wissen zum Beispiel allein Surfer, was ich meine, wenn ich sage: Ich werde diese eine, erste grüne Welle, für die ich fast drei Monate gekämpft hatte, in meinem Leben nicht vergessen. Und nur wer mit 40 noch mal eine neue Sprache angefangen hat, kann meinen Stolz nachfühlen, als ich das Bacalhau-Rezept der Fischverkäuferin verstand.
Regel 2: Schaffe Beziehungen so stark wie Nabelschnüre
Bezeichnenderweise sahen wir unsere Hamburger Freundinnen und Freunde nach unserem Wegzug kaum seltener als zuvor. Einerseits freute mich das. Andererseits waren mir diese Beziehungen auch in Hamburg irgendwie nicht genug gewesen. Denn wenn man sich nur alle paar Wochen mal trifft, ist es schwer, die Vertrautheit aufzubauen, die zumindest ich mich mir von Freundschaften erhoffe. Was ich wollte, waren Menschen, mit denen ich meinen Alltag verbringen konnte.
Für Eltern ist es vergleichsweise leicht, solche Menschen zu finden: Wer ein Kind bekommt, erhält gratis Zugang zu einem riesigen Netz an Leuten, mit denen er das Wichtigste in seinem Leben gemeinsam hat. Im Geburtskurs, auf dem Spielplatz, vor der Kita: Überall warten potenzielle Freunde mit ähnlichen Routinen und Themen.
Als Kinderloser ist man von diesem Elternnetz ausgeschlossen, ohne Teil eines gleichwertigen Netzes aus Kinderlosen zu werden. Denn Kinderlosigkeit allein verbindet längst nicht so sehr wie Elternschaft – man hat nicht automatisch was zu reden. Wichtiger noch: Man findet einander gar nicht erst. Denn es gibt keine Orte, an denen sich primär kinderlose Menschen mittleren Alters treffen. Dachten wir. Bis wir im Umland eines portugiesischen Fischerdorfs, das auch als Surfer-Zemtrum gilt, auf eine fröhliche, kleine Gemeinschaft internationaler, kinderloser Expats stießen. Zufällig hier versammelt, waren viele von ihnen doch bewusst aus Kontexten geflohen, in denen die Familiengründung die einzige Option zu sein schien. Erst hier, wohlwollend ignoriert von den meisten Einheimischen und in guter Gesellschaft gleichgesinnter Menschen, war ein Leben ohne Kinder konfliktfrei möglich.
Und ein sehr schönes Leben noch dazu: Waren Dinner mit Freunden in Hamburg nur nach wochenlanger Planung möglich, treffe ich meinen neuen Freund S. hier gleich in der ersten Woche dreimal: zufällig auf einem Konzert in den Hügeln, spontan zum Surfen nach Feierabend und dann zum Kart-Fahren an seiner Stammstrecke (S. im eigenen Rennanzug). Seine Freundin K. zeigt uns wenig später ihr neues Häuschen, das vom Keller bis zum Dach auf Spaß für Erwachsene ausgelegt ist: Hier die Sauna für Spa-Abende mit Freunden, dort die große Küche für gemeinsames Kochen, da die Balkon-Bar mit Blick auf den Atlantik. Kein Kinderzimmer, kein Geländer an der Treppe. Nur ganz viel Platz, um sich bei Sardinen und Vinho Verde besser kennenzulernen.
Als sich die Gruppe kurz darauf zum Brunch trifft, reden wir über alles außer Kinder: Arbeitsbedingungen in portugiesischen Krankenhäusern, den Nutzen von Atomwaffen und die Qualität des rumänischen Internets. Ich kann mein Glück kaum fassen: Vier verschiedene Nationalitäten an einem Tisch, und zu keinem Zeitpunkt muss jemand für mich übersetzen!
Regel 3: Finde Erfüllung, wo Eltern Nutella finden (potenziell überall)
Vielleicht das Wichtigste, das Eltern von ihren Kindern bekommen, ist ein Gefühl für Sinnhaftigkeit. »Seit meine Tochter geboren wurde, weiß ich endlich, warum ich auf der Welt bin.« Wenn ich solche Sätze hörte, war mein erster Gedanke immer: Uff. Es folgte ein zweiter: Sowas will ich auch sagen können. Nur ist das mit dem Lebenssinn halt so eine Sache: Woher nehmen, wenn nicht zeugen?
Die Antwort könnte sein, dass man sich seine Erfüllung als Kinderloser mehr zusammenstückeln muss. Unsere neuen Freunde scheinen sie in zwischenmenschlichen Beziehungen und immer neuen, spannenden Projekten zu finden: Astrofotografie, Wildnis-Expeditionen, Kunst. Und auch ich habe inzwischen begonnen, mich stärker Dingen zu widmen, die versprechen, meinem Leben einen Sinn zu geben. So verbringe ich immer weniger Zeit mit meinem eigentlichen Job und mehr mit dem Schreiben von Essays, Kurzgeschichten und Romanen. Auch hierbei lasse ich mich von den Eltern in meinem Umfeld anregen: Es geht nichts über das Gefühl, selbst etwas zu erschaffen.
Ich fasse zusammen:
Erfahrungen und Erinnerungen machen, von denen man später einmal spricht.
Tiefe Bindungen mit Menschen eingehen und mit ihnen den Alltag verbringen.
Sein Leben mit Sinn erfüllen. Kinder sind einer, es gibt zig andere Möglichkeiten.
Ich habe in dieser Folge von Erklär mir die Welt darüber gesprochen, was für mich ein sinnvolles Leben ist.