Oliver Grimm hat in der Presse den Politikwissenschafter Ben Ansell von der Universität Oxford interviewt. Hier der ganze Beitrag. Ein Auszug:
Ben Ansell: Ende der 1960er-Jahre gab es so einen Moment, an dem viele junge Leute dachten, Demokratie sei nur etwas für alte Männer.
Der wesentliche Unterschied zu heute ist aber, dass sie damals demografisch eine ziemlich große Gruppe waren. Das sind nun die Boomer.
Der Anteil junger Leute ist heute in den meisten westlichen Ländern so klein wie nie zuvor seit Einführung der Demokratie. Das bedeutet, dass sie zahlenmäßig in der Minderheit sind. Und Zahlen sind das, was in der Demokratie entscheidet.
Oliver Grimm: Sind Parteien im Lichte dieser Arithmetik ehrlich, wenn sie behaupten, sich um die Sorgen der Jugend zu kümmern? Warum sollen sie auf TikTok 17-Jährigen hinterherjagen, statt jene älteren Wähler anzusprechen, die seit Jahren schon verlässlich für sie stimmen?
Ansell: Das wäre genau die rationale Entscheidung. Die britische konservative Partei ist schon komplett von alten Wählern erobert: Sie hat gegen Labour in allen Altersgruppen verloren – außer bei Pensionisten.
Bei unter 30-Jährigen hatte sie weniger als zehn Prozent. Es ist schwierig, eine Koalition aus über 65-Jährigen und Leuten zwischen 20 und 30 Jahren zusammenzuhalten. Darum versuchen das die meisten Parteien gar nicht.
Allerdings denke ich nicht, dass es besonders teuer ist, Wahlwerbung für Junge zu machen. Sie schauen nicht fern – und TV-Werbung ist mit Abstand am teuersten. TikTok, Instagram und YouTube sind relativ billig.
Zudem sind junge Leute tendenziell eher überzeugbar, weil sie noch keine Stammwähler sind.
Dazu ist ein Blick auf das Wahlverhalten bei der österreichischen Nationalratswahl nach Alter interessant. Quelle dafür ist das Foresight Institute.
Ich habe ein bisschen gerechnet:
Bei den unter 60-Jährigen kommen ÖVP und SPÖ gemeinsam auf 38-39 Prozent.
Bei den über 60-Jährigen lebt die ehemals Große Koalition im Herzen weiter und die beiden Parteien erreichen 62 Prozent der Stimmen.
Bei den unter 35-Jährigen gibt es gesellschaftspolitik eine knappe linke Mehrheit (SPÖ, Grüne, Neos, Bier und KPÖ = 51 Prozent). Die Neos werden von Forschern kulturell linksliberal und wirtschaftspolitisch rechts eingeordnet.
Bei den über 60-Jährigen kommen diese Parteien auf 40 Prozent.
Noch ein Blick auf die Alterspyramide in Österreich.
Es gibt laut Statistik Austria heuer 1,6 Millionen Menschen im Land, die zwischen 16 und 30 Jahre alt sind.
Das sind 20% der Menschen, die über 16 Jahre alt sind und damit theoretisch wahlberechtigt sind – die Staatsbürgerschaft lasse ich hier einmal außen vor.
Gleichzeitig sind 2,5 Millionen Menschen über 60 Jahre alt.
Das sind 32% der Menschen über 16.
Zieht man die Grenze bei 50 kommt man auf 3,9 Millionen Menschen.
Das sind 50 Prozent der Menschen über 16.
Weil ältere Menschen eher wählen gehen als jüngere könnte man theoretisch nur mit über 50-Jährigen eine Mehrheit der Stimmen erreichen.
Um die Anteile an den Wahlberechtigten zu berechnen müsste man jetzt noch um die Staatsbürgerschaft der Menschen bereinigen. Aber you get the picture.