Zerstört die Digitalisierung die demokratische Öffentlichkeit?
Es gibt viele YouTube-Diskussionen und -Vorträge. Ich lade mir via downsub.com immer öfter einfach das automatisiert von YouTube erstellte Transkript herunter und gebe es dann Claude Opus 3, um mir eine Zusammenfassung erstellen zu lassen.
So getan beim Vortrag “Zerstört die Digitalisierung die demokratische Öffentlichkeit?” von Claudia Ritzi, Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte in Trier. Hier das ganze Video.
Eine kurze Zusammenfassung – nachgehend noch ganze Passagen.
Einführung und Begriffsdefinition:
Politische Öffentlichkeit ist der zentrale Raum der Auseinandersetzung, der politischen Informationen, der Bürgerinnen und Bürger sowie der Meinungs- und Willensbildung.
Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der technologischen Entwicklung und der Entwicklung der politischen Öffentlichkeit.
Historischer Überblick:
Die Erfindung des Buchdrucks führte zur Entstehung der bürgerlichen Salonöffentlichkeit, in der demokratisches Denken, Humanismus und Gemeinwohlorientierung praktiziert wurden.
Die Etablierung von Zeitungen, Radio und Fernsehen führte zu einer weiteren Ausdehnung und Demokratisierung der politischen Öffentlichkeit, brachte aber auch marktförmige Einflüsse mit sich.
Digitale Öffentlichkeitsstruktur:
Die digitale Öffentlichkeit ist weniger hierarchisch und ermöglicht direkte Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie zwischen politischen Akteuren und der Bevölkerung.
Es besteht jedoch die Gefahr von Filterblasen, Echokammern, Fake News und Fragmentierung.
Filterblasen:
Algorithmen von Social-Media-Plattformen können dazu führen, dass Nutzerinnen und Nutzer primär Inhalte sehen, die ihren Interessen und Überzeugungen entsprechen (Confirmation Bias).
Empirische Studien zeigen jedoch, dass Filterblasen in der Praxis dosierter angewandt werden als befürchtet.
Echokammern:
In homogenen Gruppen kann es zu einer Verstärkung und Radikalisierung von Meinungen kommen (Law of Group Polarization).
Echokammern sind ein Phänomen, das nicht nur in der digitalen Welt, sondern auch in anderen Kontexten auftritt.
Fake News und Desinformation:
Die Verbreitung von falschen Informationen und Verschwörungstheorien stellt eine Herausforderung für die Demokratie dar.
Empirische Daten zeigen einen Anstieg von Fake News vor Wahlen, insbesondere bei Nutzerinnen und Nutzern mit extremen politischen Positionen.
Fragmentierung und Integration:
Die Integrationsfunktion der politischen Öffentlichkeit, die Menschen zusammenführt und eine gemeinsame Themenagenda schafft, scheint durch die Fragmentierung in der digitalen Öffentlichkeit gefährdet zu sein.
Es besteht die Gefahr, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen sich von der politischen Öffentlichkeit abkoppeln und schlechter repräsentiert werden.
Fazit und Ausblick:
Die digitale Öffentlichkeit ist geprägt von Fliehkräften (Fragmentierung, Polarisierung), Anziehungskräften (ökonomische Konzentration) und schwarzen Löchern (Entpolitisierung, Verschwinden lokaler Informationen).
Es bedarf einer aktiven Gestaltung der Öffentlichkeitsstruktur, um den Anforderungen der Demokratie gerecht zu werden, beispielsweise durch Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Politische Bildung:
Soziale Medien bieten Chancen für die politische Bildung, da sie von jungen Menschen intensiv genutzt werden und neue Räume für niedrigschwellige Angebote eröffnen.
Politische Bildung allein reicht jedoch nicht aus, um den Herausforderungen der digitalen Öffentlichkeit zu begegnen.
Dann habe ich Claude noch gebeten, mir alle wortwörtlichen Zitate zu Punkt 7, also zur Fragmentierung, zu liefern:
"Eine ganz wichtige Leistung, die die politische Öffentlichkeit für die Demokratie erbringt, ist, dass sie die Menschen auch zusammenführt - nicht physisch, aber im Geiste, könnte man sagen. Wenn wir in den 80er Jahren [...] ein Großteil der Deutschen relativ regelmäßig beispielsweise Tagesschau geguckt [hat], mit dem Ergebnis, dass die Tagesschau einen ganz wichtigen Einfluss darauf hatte, über was wir politisch eigentlich nachdenken. [...] Das hat uns irgendwie vereint, ne? Wir sagen, dass die Themen-Agenda vereinheitlicht wurde innerhalb der Bevölkerung. Und das ist für die Demokratie ganz wichtig, weil, wenn wir Meinungsbildungsprozesse haben und die sich [in] Wahlentscheidungen niederschlagen sollen, dann ist es ja wichtig, dass wir ungefähr auch über die gleichen politischen Fragen nachdenken.
Das ist Teil dieser Integrationsfunktion, die politische Öffentlichkeit hat. Wir können auch über unseren eigenen Tellerrand besser hinausblicken, wenn wir in Kontakt mit anderen treten, wenn uns mal gezeigt wird: 'Na ja, das ist eine Situation, die ist beispielsweise für Bewohner städtischer Regionen überhaupt kein Problem - Ärzteversorgung oder so was. Aber wenn Sie auf dem Land wohnen und da gibt es weder einen Bus noch ein Hausarzt, dann sind Sie auf einmal in einer ganz prekären Lage, ne?' Dieses Wissen, diese [...] Zusammenführung der unterschiedlichen Positionen, dass [wir] uns gegenseitig verstehen, das ist auch etwas, was wesentlich über Massenmedien herbeigeführt wurde.
[...] Wenn wir alle mehr in solchen Blasen, Echokammern oder geschlossenen Zirkeln sind, wenn wir dieses massenhafte Angebot nutzen und damit jede und jeder von uns primär sich damit auseinandersetzt, was uns sehr, sehr interessiert, dann wäre ein Risiko für die Demokratie, dass diese Zusammenführung der Agenda nicht mehr gut funktioniert."
Claudia Ritzi betont auch, dass sie das Fragment der ganz Politikfernen als eine Gruppe sieht, die wachsen könnte: "Diejenigen, die [...] beispielsweise inzwischen pausenlos Netflix oder Ähnliches nutzen, [...] ohne dabei ein einziges Mal von politischen Informationen oder Nachrichten gestört [zu] werden, wie das beispielsweise im Fernsehen noch der Fall gewesen ist. [...] [Wir] haben es mit einer Situation zu tun, wo wir eine Öffentlichkeit haben, die [...] noch viel größer ist als je in der Vergangenheit, [...] wir sind gar nicht mehr an nationale Grenzen gebunden und [auch nicht] an sprachliche Grenzen. [...] Wir haben eine unglaubliche Breite, [...] eine unglaubliches Wachstum, alles sprießt, alles wird mehr [...]."
Und zu Punkt 8, den Kräften und der Struktur der Öffentlichkeit:
"Ich habe das in einem Aufsatz [...] einmal beschrieben als 'Universum'. Wir haben es mit einer Situation zu tun, wo wir eine Öffentlichkeit haben, die [...] noch viel größer ist als je in der Vergangenheit, [...] wir sind gar nicht mehr an nationale Grenzen gebunden und [auch nicht] an sprachliche Grenzen. Wir können heute auch aktuelle Nachrichten aus den USA abrufen, und wenn wir dann Kabel haben, dann können wir uns auch ausschließlich damit beschäftigen. Also wir haben eine unglaubliche Breite, [...] eine unglaubliches Wachstum, alles sprießt, alles wird mehr, und wir haben diese neuen Kräfte- und Kräfteverhältnisse, die die Öffentlichkeitsstruktur mitbestimmen.
Das sind auf der einen Seite Fliehkräfte, die man in den Blick nehmen könnte, so etwas wie die Fragmentierung, die ich benannt habe, oder auch die Polarisierung, dieses Auseinanderdriften, das wir haben. Auf der anderen Seite ist diese digitale Öffentlichkeitsstruktur auch gekennzeichnet von bestimmten Anziehungskräften. Zum Beispiel haben wir ganz starke ökonomische Konzentrationseffekte. Es gibt nur ganz wenige Plattformbetreiber und die haben eine immense Macht, und die sitzen fast ausschließlich in den USA, also jedenfalls [diejenigen], deren Angebote hier in Europa stark rezipiert werden. Also das ist auch wiederum eine Anziehungskraft, eine Konzentration, die wir beobachten.
Und wir haben das, was ich gerade schon erwähnt habe und was ich immer [als] 'schwarze Löcher' bezeichnet habe, also bestimmte Dinge gehen unter. [...] Bestimmte Arten von Informationen - ich gehe vor allem auf regionalpolitische, landespolitische und lokalpolitische Informationen ein - verschwinden geradezu aus der breiten Wahrnehmung, weil die entsprechenden Zeitungsangebote weniger rezipiert werden und es dafür im Internet dann auch nicht so die Räume gibt, die entstehen und die richtig nachgefragt werden. [...]
Nicht alles, was hier passiert, ist irgendwie undemokratisch [oder] schlecht für die Demokratie. Es gibt auch ganz viele tolle Diskussionsforen und Räume im Internet, wo ganz hochwertige Informationen geliefert werden. Das soll nicht unter den Tisch fallen. Aber manche dieser strukturellen Aspekte, die wir kennengelernt haben in den letzten 45 Minuten, können sich zu demokratischen Herausforderungen entwickeln, weil sie die Gleichheit negieren, weil sie die Integrationsfähigkeit in Frage stellen, weil sie dieses Auseinandertreiben, diese Polarisierung eben fördern. Und das bereitet mir tatsächlich zum Teil durchaus auch Sorgen.
Gleichzeitig will ich hier keinen Alarmismus machen, sondern: Wir können auf diese Öffentlichkeitsstruktur auch Einfluss nehmen. Wir können [sie] weiter gestalten, wir können wichtige Punkte, neue Krafträume, Anziehungspunkte schaffen, um auch wirklich im Sinne der Demokratie Debattenkultur zu befördern, Diskussionsangebote zu machen, Zusammenführungsangebote zu machen. Wir müssen uns nur so ein bisschen Gedanken machen, wie wir diese Öffentlichkeitsstruktur gestalten wollen. [...]
[In] den letzten Wochen haben wir ganz viel gehört über mögliche Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und ich glaube, auch das sind solche Gelegenheiten, die man nutzen kann und nutzen sollte, um [...] eine Medienpolitik zu machen, die zu der Öffentlichkeitsstruktur, die wir haben, passt, und zwar in einer Art und Weise, dass sie die Bedarfe, die die Demokratie an die Öffentlichkeit hat, auch tatsächlich erfüllt."
Dann habe ich Claude noch gebeten, mir Punkt 2 zur Rolle von Innovationen wie Buchdruck auf die Öffentlichkeit zusammenzufassen:
"Die Erfindung des Buchdrucks [...] bildeten sich unter anderem sogenannte bürgerliche Salonöffentlichkeit[en], also auch da waren jetzt [...] das konnten noch längst nicht alle Menschen lesen und waren insofern in der Lage, diese anspruchsvollen Texte auch zu rezipieren, aber der Kreis derjenigen, die an der politischen Debatte sich beteiligten, weitete sich eben schon aus in das Bürgertum hinein, das in der finanziellen Situation war und hinreichend gebildet war, um sich Bücher zuzulegen. Und dann entstanden diese Salons, in denen [...] auch vergleichsweise betuchte Menschen über das diskutiert haben, was sie gelesen haben. Und wie Jürgen Habermas eindrucksvoll rekonstruiert, ist das eben auch der Ort, wo sich demokratisches Denken ursprünglich etablierte, wo Humanismus praktiziert wurde, wo gemeinwohlorientiert gedacht wurde - nicht zuletzt auch deswegen, weil [...] das Bürgertum damals so relativ gut finanziell gestellt war, dass sie so ein Stückchen erhaben waren über die Nöte des Alltags. Und wenn man dann in diesen Salons saß, dann ging es wirklich [um] Aufklärung und Wahrheit und Weisheit, und somit hatte [das] eine sehr, sehr hohe Diskursqualität, wie wir in der modernen Terminologie sagen würden, und eben eine ganz starke Werteorientierung hin zum Allgemeinwohl. [...] [Das] war also die erste Konstitution einer größeren Öffentlichkeit, und damit wurde die Grundlage auch für die Demokratie gelegt.
Der nächste zentrale Schritt ist wiederum einer, der auch mit Technik zu tun hatte: die Druckpresse. Die [...] hat es nicht nur erlaubt, dass Bücher gedruckt wurden, sondern natürlich dann auch relativ bald schon Zeitungen entstanden sind. Und da merken Sie auch noch mal diesen Ausdehnungsprozess, diesen Integrationsprozess [...]: Nachrichten wurden damit, oder politische Informationen wurden damit einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Und vor allem wurden sie auch aktualisierter.
Und diese Entwicklung wurde weiter verstärkt [...] dann schließlich durch die Erfindung des Radios und die Etablierung des Radios. Das war so ungefähr ab 1900 der Fall. Und dann, 30 [Jahre später], bis sie Etablierung stattfand, [und] tatsächlich 50 Jahre später auch schon die Verbreitung der ersten Fernsehgeräte. Und das ist wiederum ein struktureller Wandel der Öffentlichkeit. Wiederum haben wir diese ausdehnende Kraft, diese demokratisierende Kraft, dass mehr und mehr Menschen also diese Medien nutzen konnten und damit Teil einer öffentlichen Debatte wurden.
Neu an dieser massenmedial[en] Öffentlichkeitsstruktur ist aber auch, dass wir schnell eine Situation hatten, in der Medien Teil auch von marktförmig agierenden Unternehmen waren. Es entstanden Verlage, [bei] denen es nicht nur mehr darum ging, dass sie sich für das Gemeinwohl einsetzen wollen oder aufklären wollten, sondern [bei] denen es natürlich auch immer darum gehen musste, dass sie Geld verdienen konnten. Und so haben wir also noch mal eine neue Struktur, [...] die prägend wird für die Art und Weise, wie die Inhalte präsentiert werden. Wenn ich [...] Verleger bin und ich möchte Geld verdienen, dann möchte ich, dass meine Zeitung möglichst viele Menschen erreichen. Und dann heißt es aber auch, dass diese Aufbereitung so erfolgen muss, dass die Informationen, die ich gebe, beispielsweise leicht verständlich sind, relativ leicht verdaulich, dass die Texte nicht zu lang sind, dass die Argumente, die dort vorgebracht werden, nicht zu abstrakt sind. Und das ist etwas, was Jürgen Habermas [...] auch kritisiert, und er sagt: 'Was wir hier erlebt haben, ist einerseits die demokratisierende Kraft der Zugänglichkeit, aber auf der anderen Seite gibt es auch eine Kehrseite, nämlich eine sinkende inhaltliche Qualität, eine sinkende Qualität [des] politischen Diskurses, [...] die hier zu verzeichnen ist.' Und so ist es eine Art Trade-Off, würde er sagen. [...] [Bei] aller Kritik, [...] die er artikuliert, [...] stellt er fest, dass das natürlich einen wesentlichen Impuls auch ausgelöst hat für die Etablierung von Demokratien in westlichen Staaten. Ohne Massenmedien wäre es kaum vorstellbar gewesen, dass die Demokratie sich ihren Weg bahnt [...]."