Mein journalistisches Vorbild Ezra Klein war beim Podcaster PJ Vogt (Ex-Reply All) zu Gast. Klein hat einige interessante Dinge über das Internet und Soziale Medien gesagt. Hier sind meine Notizen und Gedanken zu den beiden Podcast-Folgen in “Search Engine”, dem neuen Podcast-Projekt von Vogt:
Das Medium ist die Botschaft. Nicht wie du es benutzt, sondern was du benutzt. Hier fühle ich mich ertappt: Denn ich bin nach wir vor auf X/Twitter unterwegs und sage immer wieder: Man kann das Beste rausholen, wenn man es bewusst nutzt. Ich lese nur Listen, die ich selbst kuratiere, keine Inhalte, die mir der Algorithmus vorschlägt. Ich lese X fast nur am Desktop-Computer, nicht am Handy. Und ich nutze es, um zu posten. Fertig.
Jetzt sagt Klein zu dieser Einstellung und Art der Nutzung: Das bringt nicht viel. Wenn du Twitter benutzt, wirst du wie Twitter. Er erklärt das so: Die Innovation von Twitter ist: Gedanken auf ganz kurze Sätze herunterbrechen. Eine halbe Stunde Twitter liefert dir 1000 kurze Gedanken, und nichts davon kannst du zu Ende denken, denn du scrollst ja gleich zum nächsten.
Es gibt zwar hunderte Links zu Artikeln, aber in Wahrheit lesen die wenigsten irgendeinen davon. Man liest nur Tweets, in der Menschen sagen, dass sie das mögen, es “brillant” ist – dann entspricht es meistens nur der Meinung, die die twitternde Person hat – oder dass man etwas nicht mag oder wahrscheinlicher, dass etwas richtig scheiße ist.
Jetzt sagt Klein: Dieses Denken ist allumfassend. Wer auf X aktiv ist, der denkt wie ein X-Nutzer, ob er auf der Plattform ist oder in einer Bar oder in einem Park mit Freunden. Dinge werden auf kurze Gedanken heruntergebrochen und bewertet. Finde ich dies und jenes gut, schlecht, empörenswert? Gar nicht so sehr, warum, wie, wieshalb, sondern das Bewerten wird zum Ziel selbst.
Wie ich mich selbst dabei ertappe: Man diskutiert mit Freunden beim Abendessen ein heikles Thema wie das Gendern – und denkt sofort mit, ob sich danach nicht gleich ein Sturm der Entrüstung gegen einen richten könnte. Oder: Beleidige ich eh niemanden? Das nimmt die Luft zum Denken und lässt einen vergessen, dass man in privater Atmosphäre freier Denken könnte als auf X.
Wie ich mich noch ertappe: Ich lese einen Leitartikel in einer Zeitung. Und was ich mich danach frage: Finde ich das gut oder schlecht? Oft mache ich dann auch noch ein Foto, poste es auf X und sage: Finde ich gut – oder nicht gut (letzteres erzeugt dann viel mehr Aufmerksamkeit). Dabei ist das ja das am wenigsten interessante an so einem Text, ob man dem jetzt zustimmt oder nicht. Was wirklich interessant sein kann: Ist ein Gedanke dabei, der es lohnt, weiter gedacht zu werden? Sich voranzutasten? In jemanden hineinzufühlen? Ein Szenario durchzudenken? Das ist viel interessanter als Daumen hoch oder runter.
Das ist aber nicht nur mit Twitter so, sondern mit jedem anderen Medium auch. Nehmen wir das Fernsehen: Es unterhält uns. Wenn es das dominierende Medium ist – was es wohl nach wie vor ist – dann haben wir auch den Anspruch, dass Nachrichten unterhaltend sein sollten. Oder Bildung. Sich mit der Welt oder einem Fach auseinanderzusetzen, um es besser zu verstehen, ist anstrengend und oft nicht mit Unterhaltung vereinbar.
Oder wenn wir Instagram nutzen, dann ist das Narrativ, das wir über unser eigenes Leben haben, vielleicht eines der kleinen schönen Bilder und Momente. Ich war auf 10 Wanderungen und habe tolle Bilder von der Aussicht gemacht. Aber nicht der Prozess, der eigentlich das Wichtigste ist. Oder weil immer mehr Leute ihr letztes Monat in 10 Bilder packen oder in ein lange produziertes Reel: Ein gutes Monat war eines wo ich viele Dinge gefilmt habe die aufregend wirken – ob die Zusammenkünfte mit Freunden aber wirklich so schön waren?
Der Gedanke “The medium is the message” ist 80 Jahre alt aber wahnsinnig weise. Genauso wie wir langsam so werden wie die Leute, mit denen wir unsere Zeit verbringen oder unser Beruf uns formt – ich habe, glaube ich, eine hohe Trefferquote bei der Erkennung von Lehrer:innen ;-) – so prägen auch die Medien, die wir nutzen, wer wir sind und wer wir werden.
Wir sollten Menschen, Beruf und Medien also weise auswählen: Wer holt das Beste aus mir hervor? Wie will ich sein? Wohin möchte ich mich entwickeln?
Ich für mich weiß, dass Twitter nicht das Beste aus mir hervor holt. Oder Instagram. Auch Online-Nachrichtenseiten, die sich über Werbung und Klicks finanzieren, sind es nicht. YouTube? Schon eher. Newsletter lesen und schreiben? Besser. Podcasts? Ja. Gedruckte Magazine und Zeitungen? Ja. Bücher? Oh ja.
Es ist übrigens ein Treppenwitz, dass ich in meinem Prozess, deutlich weniger Zeit in Sozialen Medien zu verbringen, einen Newsletter wie diesen starte: Denn kleine Snippets zu aktuellen Themen, dieses Konzept kennen wir von wo ;-)
Noch ein Gedanke von Ezra Klein: Unser Leben ist die Summe der Dinge, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken.
Er sagt, er möchte mit Menschen in Kontakt sein, die den Kontext seiner Aussagen kennen. Dass ist auf Social Media de facto nie der Fall. Er hat begonnen alle zwei bis drei Wochen ein E-Mail an 200 Leute zu schreiben. Das sind die Leute, die er umarmen würde, wenn er sie persönlich trifft. Er schreibt bewusst nicht auf Substack, sondern verschickt diese E-Mails mit Infos über Persönliches, Gedanken zur Welt und ein paar Links, die für sie relevant sein könnten.
Wie kann man sich selbst beim Nachdenken hören? Wo hat man Räume, in denen man wirklich selbst nachdenkt? Ich lese gerne Twitter, Newsletter oder Reddit, aber man hat immer die Gedanken anderer Leute im Kopf. Was ja grundsätzlich toll ist: Aber es braucht eine Balance zum selber Nachdenken.
Ich stimme Klein nicht in allem zu, finde es aber hochinteressant, was er zu sagen hat. Es sagt sich natürlich leichter, Soziale Medien weniger oder gar nicht zu nutzen, wenn man schon bekannt ist und für die NY Times schreibt und sich seine Aufmerksamkeit und seinen Status nicht erst erkämpfen muss.
Ich persönlich wäre beruflich heute sicher nicht da, wo ich bin, hätte ich nicht vor 15 Jahren begonnen, regelmäßig Twitter zu bespielen. Noch heute ist die Plattformen bei Themen, die mich interessieren, wie Künstlicher Intelligenz oder Neuigkeiten aus der Wissenschaft, sehr relevant für mich, um up to date zu bleiben. Aber die Medien, die wir nutzen, sind immer mehr als nur eine Infoquelle. Das möchte ich stärker im Kopf behalten.
Die beiden Podcast-Folgen: