Das Kloster als Alternative zum Patriarchat: Der Aufstieg und Fall der Nonnen
ZEIT: Was bedeutete der Titel »Bräute Christi« für das Ansehen und Selbstverständnis der Nonnen?
Schlotheuber: Er war außerordentlich wichtig. Von der Spätantike bis weit in die frühe Neuzeit hinein war diese Idee prägend:
Nonnen stehen in der Nachfolge Marias und sind ihrem Bräutigam Christus körperlich nahe, da sie ihm dem Glauben zufolge in ihrer Jungfräulichkeit nachfolgen.
In einem Dominikanerinnenkloster in Italien wird das wunderbar dargestellt: Im Himmel zieht Christus die heilige Katharina als seine Braut fest in seine Arme, während die Apostel Petrus und Paulus in einiger Entfernung wie der Rat einem Herrscher zusehen.
Im Verständnis der Zeit waren die Nonnen damit der höchsten Erkenntnis ganz nah. Christus war die Quelle aller Weisheit, zu der die Nonnen einen speziellen Zugang besaßen.
Damit verfügten sie über ein Wissen, das sich von dem rationalen Gotteszugang der Mönche und Universitätsgelehrten unterscheidet.
ZEIT: Die Nonnen waren hoch angesehen und hatten gegenüber Gott eine Sonderstellung. Warum bröckelte ihre Reputation mit Beginn der Neuzeit?
Schlotheuber: Die Nonnen galten als Expertinnen für die immaterielle Welt. Dieses theoretische Wissen verlor an Bedeutung gegenüber einem praktischen Wissen, das sich auf die sichtbare Welt selbst bezog.
Zugleich bezweifelte die Reformation jegliche Art von Sonderstellung zu Gott, jeder Mensch stand zu ihm nun in unmittelbarer Beziehung.
Die Vermittlungsfunktion der Nonnen als Bräute des höchsten Königs war damit obsolet.
Nur in der katholischen Welt bleibt ihre Autorität noch lange erhalten, auch wenn sich die Umgebung der Frauenklöster dort ebenfalls massiv veränderte.
ZEIT: Was ist heute noch übrig von der Kultur der Frauenklöster?
Schlotheuber: Sehr wenig. Das Kloster Lüne etwa, mit dem ich mich intensiv auseinandergesetzt habe, wurde zu einem evangelischen Frauenstift, in das man noch heute in fortgeschrittenem Alter eintreten kann.
Das ist durchaus attraktiv, hat mit dem Klosterleben des Mittelalters aber wenig gemein.
Übrigens hat eine Studie gezeigt, dass die Nonnenklöster in der Schweiz just in dem Moment an Bedeutung verloren, als die Frauen 1988 die Erlaubnis erhielten, ohne Zustimmung des Mannes ein Bankkonto zu eröffnen.
Man sieht hier: Die Umwelt hat sich so gewandelt, dass die geistliche Lebensform als geschützter Sonderraum und Alternative zur Heirat nicht mehr so attraktiv ist wie früher. Nur der Rückzugsgedanke wirkt auf viele Frauen nach wie vor anziehend.
Aus einem ZEIT-Interview mit der Historikerin Eva Schlotheuber.