ChatGPT: Was sollen wir noch lernen?
Ich habe für die Salzburger Nachrichten einen Text dazu geschrieben, welche Bildung es noch braucht, wenn KI kognitive Arbeit automatisiert. Hier ist er:
Kommt die Rede auf das Reizthema künstliche Intelligenz, sind schnell alte menschliche Urängste auf dem Tapet. Ökonomen sehen die explosive Entwicklung künstlicher Intelligenz auf einer Ebene mit der Einführung der Elektrizität oder der Dampfmaschine. Innovationen, die unsere Art zu wirtschaften, zu arbeiten und zu leben bekanntlich wild durchgeschüttelt haben.
Dass die Maschine dem Menschen die Jobs wegnimmt, davor fürchten sich Menschen, seit es Maschinen gibt. Zunächst geht es also um die Frage: Werden wir Menschen bald überflüssig, unrentabel, kollektiv arbeitslos? Dann hätte es sowieso keinen Sinn, unsere Kinder überhaupt noch in die Schule zu schicken.
Vermutlich kann uns hier ein Blick auf die Geschichte beruhigen: Dass etwa nach Erfindung der Elektrizität Radio, Internet oder Staubsauger kommen würden, wusste zu Beginn niemand. Dass die Dampfmaschine die Basis für mit Diesel betriebene Lkw und Tausende Kilometer lange Autobahnen ist, ebenso wenig.
All das brachte neue Jobs. Oder: Es gibt heute etwa schon mehr Industrieroboter, Computerchips und Software als je zuvor - und trotzdem herrscht vielerorts Arbeitskräftemangel. Kein Land setzt zum Beispiel mehr Industrieroboter pro Kopf ein als Südkorea und Singapur, beide Länder haben eine Arbeitslosenrate unter drei Prozent, also Vollbeschäftigung.
Die Arbeit geht uns also wohl nicht aus - sie verändert sich. Nur eben immer schneller. Thomas Edison beleuchtete 1879 erstmals eine Straße in New Jersey. Bis die Hälfte der US-Haushalte Elektrizität nutzte, vergingen 40 Jahre. Beim Internet dauerte das nur zehn Jahre.
Ein halbes Jahr nach dem Start von ChatGPT hatte es jeder fünfte Österreicher einer Befragung des Wirtschaftsprüfers PwC zufolge schon genutzt.
Niemand kann also leugnen, dass sich gerade ein großer Umbruch anbahnt. Und wie wir uns darauf vorbereiten sollen - und vor allem unsere Kinder und Jugend, das ist die große Frage. Gerade auch jetzt wieder zum Schulbeginn. Was tun, wenn massive Dinge in Bewegung geraten, und das rasant, aber noch keiner weiß, in welche Richtung genau?
Die Antworten der meisten Experten sind eigentlich genauso wenig neu, wie es Automatisierung und Digitalisierung sind, die durch künstliche Intelligenz (KI) einen weiteren Schub bekommen. Eigentlich lässt sich alles auf den "Klassiker" reduzieren: lebenslang lernen.
Wir müssen dafür aber neu lernen, wie man lernt. Das beinhaltet dem Bildungsökonomen Ludger Wößmann von der Ludwig-Maximilians-Universität München zufolge: Anpassungsfähigkeit, kritisches Denken, Problemlösen, soziale Kompetenzen, Beharrlichkeit - und die üblichen verdächtigen Grundkompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften.
Das ist also auch, was in den Lehrplänen stehen sollte, aber nicht nur dort. Denn wer nach der Schule kaum mehr Neues dazulernt, wird es in Zukunft sogar noch schwerer haben - und diesen Menschen zu helfen wird eine der größten Herausforderungen sein.
Aber auch andere alte Gewissheiten der Bildungspolitik werden obsolet. Lange hieß es etwa: Wenn die Kinder programmieren gelernt haben, werden sie immer einen guten Job haben. Jetzt kann jeder, angeleitet von ChatGPT und seinen digitalen Cousins, Websites, kleine Computerspiele oder Handy-Apps programmieren.
Das heißt übrigens nicht, dass es keine Programmierer mehr braucht. Wer aber programmiert, hat jetzt für 20 Euro im Monat rund um die Uhr verfügbare KI-Programmier-Assistenten zur Verfügung.
Erste Studien zeigen, dass von ChatGPT & Co. derzeit vor allem weniger qualifizierte Arbeitnehmer profitieren. Weniger erfahrene Callcenter-Angestellte konnten einer Studie zufolge mit der Hilfe von KI um 34 Prozent mehr Anfragen pro Stunde bearbeiten als vorher.
Bei erfahrenen Mitarbeitern war der Effekt minimal - die besten Mitarbeiter wurden sogar weniger produktiv. Für sie war die KI mehr Ablenkung als Gewinn.
Eine andere Studie zeigt, dass unterdurchschnittliche Unternehmensberater der Boston Consulting Group die Qualität ihrer Arbeit mit ChatGPT um 43 Prozent erhöhen konnten. Überdurchschnittliche Berater "nur" um 17 Prozent.
KI erledige derzeit viele Tätigkeiten mit 60 bis 80 Prozent der Qualität von menschlichen Könnern, sagt Ethan Mollick, Betriebswirt an der Universität Pennsylvania. Wer kompetenzmäßig unter diesem Niveau liege, der könne den Werbeslogan oder den Programmcode jetzt getrost die KI machen lassen - und damit zu seinen überlegenen Bürokollegen aufschließen.
Für Ökonomen ist das hochinteressant. Bisher ersetzten Technologien oft einfache Arbeiten, etwa die Erntemaschine viele Erntehelfer. Der Computer machte vor allem Jobs der Mittelschicht Konkurrenz: Schichtplanung, Qualitätskontrolle, Buchführung.
Die neuen KI-Sprachmodelle könnten jetzt aber vor allem in den oberen Etagen Tätigkeiten ersetzen: in den Marketing- und Strategieabteilungen, im Personalwesen, in Medien, Versicherungen. Die Jobs also gerade derer, die sich bisher in relativer Sicherheit wiegten.
Die gute Nachricht: Keineswegs ist es so, dass Fachwissen und andere Qualifikationen obsolet werden. Das hat zweierlei Gründe. Erstens weiß nur ein Mensch, der sich etwa mit Betriebswirtschaft auskennt, ob der Geschäftsplan oder die Produktidee aus dem Elektronengehirn brillant ist - oder ziemlicher Schrott.
Zweitens spuckt eine KI ja nicht immer die gleichen Ergebnisse aus. Je nachdem, was man ihr wie sagt, liefert sie Nützliches, Kluges oder schlichtweg Topfen.
Wer sich einen Ernährungsplan erstellen lässt, aber keine Ahnung von Nährstoffen hat, bekommt einen schlechteren Plan als jemand, der genau weiß, was dabei wichtig ist. Wer sich bei einem Roman helfen lassen möchte, aber sich mit Literatur nicht auskennt, kann schwer beurteilen, ob die Beschreibung eines Charakters etwas taugt.
Trotzdem: Wer mit KI zu arbeiten versteht, ist plötzlich in vielen Dingen, von denen er bislang keine Ahnung hatte, immerhin durchschnittlich gut. Das ist eine ziemlich sensationelle Veränderung. Und die wird in den nächsten Jahren all jenen das Leben schwer machen, die sich nicht damit beschäftigen.
Wir wissen also nicht, womit man in 20 Jahren ein gutes Einkommen erzielen wird. Was sich aber jetzt schon abzeichnet, ist, dass man ohne Verständnis für die Funktionsweise und Bedienung von künstlicher Intelligenz abgehängt wird.
Was schon als Wink mit dem Zaunpfahl für unser Bildungssystem verstanden werden kann. Dieses plagt sich momentan eher damit ab, KI-Hausaufgaben und Maturaarbeiten von "echten" zu unterscheiden und KI aus dem Schulbetrieb möglichst draußen zu halten. Das aber wird so nicht bleiben können. Denn: Die Zukunft gehört nicht der KI, sondern den Menschen, die sie nutzen.
Wer die KI-Revolution beruflich gut meistern will, braucht also KI-Wissen. Das gilt sogar und gerade für die Arbeit mit Menschen. Wer unterrichtet, Kranke behandelt oder alte Menschen pflegt, kann teilweise Bürokratie von KI erledigen lassen - oder im Unterricht personalisierte Arbeitsblätter erstellen.
Menschliche Beziehungen dagegen ersetzt KI nicht so schnell. Auch wenn Dienste wie "Character AI" bei jungen Leuten schon ziemlich beliebt sind. Dort kann man mit KI-Avataren von Hamlet sprechen, oder von Elon Musk - aber auch mit KI-Psychologen, was ebenfalls stark genutzt wird. Etwa 20 Millionen junge Menschen nutzen "Character AI" im Monat und sprechen im Schnitt eine halbe Stunde pro Besuch mit den KI-Charakteren.
Trotzdem erwarten Experten nicht, dass menschliche Beziehungen so schnell von KI ersetzt werden. Die Medienpsychologin Astrid Carolus sagt etwa, dass wir auch jetzt schon eine Art von Beziehung zu Personen unserer Lieblingsserien hätten. KI sei da eigentlich nur eine weitere solche Option.
Die Durchbrüche bei KI sorgen auch in der Robotik für extreme Fortschritte. Ein Roboter kann vielleicht einmal eine bettlägerige Person pflegen - aber er wird wohl sehr unwahrscheinlich die Freude und Zufriedenheit erzeugen, die aus der Verbindung mit einem echten Menschen entsteht, so die Ökonomin Betsey Stevenson von der Universität Michigan.
Das bedeutet für unsere Schulen: Gut mit Menschen umgehen zu lernen, emotionale und soziale Fähigkeiten zu entwickeln, das ist für die Zukunft wohl eine ziemlich sichere Wette. Branchen wie die Pflege, der Bildungssektor oder der Gesundheitsbereich sind ja schon heute heillos unterbesetzt.
Das wäre dann endlich einmal eine frohe Botschaft: Ersetzt KI so manchen Bürojob, könnten endlich mehr Arbeits- und Lebensstunden für Menschen bleiben, statt für Computer oder das Ausfüllen von Berichten oder Bilanzen.
Zum ausgelutschten Begriff des lebenslangen Lernens: Auch dabei kann uns die KI helfen. Die Stadt Oslo hat etwa 110.000 ChatGPT-Zugänge für Schüler gekauft. Sprachmodelle können als individuelle Nachhilfelehrer agieren - und das für ganz wenig Geld. Auch für Erwachsene, die etwas Neues lernen möchten.
Durch KI wird zweifellos auch die Produktivität steigen - wir werden also gleich viel Wohlstand mit weniger Arbeitsstunden erwirtschaften. Gut möglich also, dass wir mehr Zeit haben, uns mit unseren Werten, Ethik und Kultur zu beschäftigen. Das brauchen wir mehr denn je, um in einer Zeit von automatisierter Intelligenz beantworten zu können, was es eigentlich heißt, Mensch zu sein.
Der Philosoph Konrad Paul Liessmann kritisiert schon lange, dass sich der Bildungsbereich zu sehr auf Kompetenzen versteife und Dinge vernachlässige, die unsere westliche Kultur ausmachten - wie die Auseinandersetzung mit Literatur, Kunst, Ästhetik und Philosophie. Vielleicht ändert sich das ja wieder.